Hunde mit zwei Köpfen und Menschen mit Schweinenieren: Die Anfänge der Transplantationsmedizin scheinen dem Schauerroman näher als der Wissenschaft. Chirurgen versuchten das Undenkbare - und einige legten dabei eine schockierende Experimentierfreude an den Tag. Von Ariane Stürmer
Der französische Chirurg Mathieu Jaboulay war der erste, der eine Nierentransplantation wagte. 1906 ließ er ein Schwein schlachten und dessen Niere herausschneiden. Die setzte er seiner 49-jährigen Patientin in die linke Ellenbeuge und nähte Arterie und Vene zusammen. Das war in den ersten Forschungsjahren die übliche Methode: Man tauschte kranke Organe nicht aus, sondern transplantierte ein weiteres. Dass Organe nicht beliebig zwischen Spezies ausgetauscht werden können, war 1906 noch nicht bekannt - die Schweineniere starb ab.
Mit Beginn des 20. Jahrhunderts stand die Transplantationsmedizin noch am Anfang ihrer Möglichkeiten. Immerhin wusste man seit 1901 um die verschiedenen Blutgruppen und ahnte schon vor dem Zweiten Weltkrieg, dass das Immunsystem der Grund für die Abstoßung von Organen sein könnte. Dennoch endeten die meisten Operationen tödlich - nicht nur für die Spender. Den Medizinern blieb oft keine andere Chance, als nach der Devise "Versuch und Irrtum" zu arbeiten. So kamen mitunter bizarre Experimente zustande: Schimpansenherzen wurden in Menschen verpflanzt, und Schäferhunde bekamen einen zweiten Kopf angenäht. Die frühen Transplantationsforscher dachten das Undenkbare, selbst die Verpflanzung eines menschlichen Kopfes auf einen anderen Körper wurde erwogen - und wird es bis heute.
Von Rückschlägen wie der missglückten Nierentransplantation ließen sich die Mediziner nicht entmutigen. Bereits 1933 wurde das erste menschliche Organ verpflanzt. Der ukrainische Chirurg Yu Yu Voronoy bediente sich dazu eines Toten. Wieder war es eine Niere, die dringend benötigt wurde. Die Patientin war eine 26-jährige Frau, deren eigene Nieren durch Quecksilber schwer geschädigt worden waren. Voronoy hoffte, dass sich ihr Organ erholen würde, sobald eine zusätzliche Niere seine Arbeit übernehmen würde. Er transplantierte sie an den Oberschenkel der Frau - doch die starb wenige Tage später, weil das neue Organ versagte.
Voronoy wusste schlicht nichts von der Existenz des HLA. Das Human Leukocyte Antigen-System bringt den Körper dazu, fremdes Gewebe abzustoßen. Es wurde erst 1958 entdeckt - und mit ihm auch der Grund, warum alle Transplantationen vor diesem Zeitpunkt scheitern mussten. Doch Voronoy war 1933 auf dem richtigen Weg: Nicht mehr Organe von Tieren sondern die von Menschen sollten zum Standard der Transplantationsmedizin werden.
Operation geglückt
Die erste erfolgreiche Nierentransplantation gelang 1954. Diesmal war das neue Gewebe für das Immunsystem des Patienten identisch mit dem eigenen. Es ist die Geschichte der Herrick-Brüder, und es ist eine Geschichte, die fast ein wenig märchenhaft klingt: Es war der Vorweihnachtsabend 1954, als der Chirurg Joseph Murray die Skalpellschnitte seines Lebens machte. Auf den Operationstischen lagen die eineiigen Zwillinge Richard und Ronald Herrick, 23 Jahre alt.
Richard Herrick war nierenkrank, Ronald Herrick spendete ihm eines seiner beiden gesunden Organe. Die Zwillinge erholten sich nach dem Eingriff gut. Richard Herricks schnelle Genesung dürfte auch einer jungen Krankenschwester zu verdanken gewesen sein, die ihn in der Klinik gepflegt hatte. Aus dem Krankenhaus entlassen soll Herrick um ihre Hand angehalten haben. Das Paar bekam Kinder, und es hätte ein Happy End geben können, hätte die Ersatzniere nicht wenige Jahre ihren Dienst versagt. Richard Herrick starb am 14. März 1963 - neun Jahre nach der erfolgreichen Operation und im Jahr der ersten Transplantationsversuche von menschlicher Lunge und Leber.
Miterlebt hat Richard Herrick allerdings noch, wie die Zeitungen Sensation um Sensation über die Arbeit eines Moskauer Chirurgen meldeten. Wladimir Demichow, "ein Mann Mitte 30 mit schütterem, dunkelblondem Haar und einem bescheidenen Gesichtsausdruck", wie das "Hamburger Abendblatt" schrieb, hielt sich eine ganze Meute von Versuchshunden. An ihnen erforschte Demichow die Verpflanzung von Lungen, Herzen und Gehirnen.
Hund mit zwei Köpfen
Für die größten Schlagzeilen sorgte Rylschi. Der Schäferhund wurde zu Demichows groteskem Meisterstück, als der Mediziner ihm einen zweiten Kopf annähte. Genau genommen war es die vordere Hälfte eines Welpen, den der Chirurg in zwei Teile zerschnitten hatte.
Der Vorderteil war am Nacken des Schäferhundes angebracht worden. Die Welpenbeine hingen Rylschi über Schultern und Stirn. Die vermeldete Sensation: Beide Köpfe hätten sich bewegt, beide Hunde hätten gefressen, beide gebellt. Dem Amerikaner Charles Guthrie war das noch nicht gelungen, als er zu Beginn des 20. Jahrhunderts ebenfalls einen zweiköpfigen Hund geschaffen hatte. Das "Time"-Magazine schrieb 1955 über Demichows Zweikopf-Hund, der Welpe hätte es gar gewagt, den Schäferhund ins Ohr zu beißen. Dennoch war es nach wenigen Tagen vorbei mit dem Rylschi-Welpen-Monster. Das Tier starb.
Doch Demichows Experimente waren keineswegs abwegig, schließlich bewies er damit die Möglichkeit einer Verpflanzung von Gehirnen. Der Wissenschaftler suchte außerdem nach einer Lösung, Herzkrankheiten zu überwinden, indem er seinen Hunden ein zweites Herz einpflanzte. Denn noch in den fünfziger Jahren ging man davon aus, dass Menschen mit schwachem Herzen künftig ein zweites Herz erhalten würden, das die Arbeit des eigenen unterstützen würde. "Demichow hat sich auch schon überlegt, wo das zweite Herz angebracht werden müsste", berichtet das "Hamburger Abendblatt" 1959. Und zwar "außen vor der Brust", geschützt durch "eine harte Verpackung".
Kulturrevolution auf dem OP-Tisch
Demichow hatte der verblüfften Welt mit seinen Experimenten bewiesen, dass selbst komplizierteste Organverpflanzungen chirurgisch möglich waren. Er hatte ein Gerät erfunden, mit dem Hauptadern so schnell wieder zusammengenäht werden konnten, dass das Lebewesen in der Zwischenzeit nicht verblutete. Ob die Aorta am Herzen oder die Halsschlagader: Mit der Gefäßnähmaschine setzte Demichow Maßstäbe.
In der Nacht zum 4. Dezember 1967 gelang dann, was niemand für möglich gehalten hatte. Der Chirurg Christiaan Neethling Barnard hatte im südafrikanischen Kapstadt "gewagt, das noch zuckende Herz einer Toten in die Brusthöhle eines Sterbenden zu überpflanzen", berichtete der SPIEGEL damals. "Gewagt" hatte Barnard gleich zwei Ungeheuerlichkeiten: Er hatte erstens einem Menschen das mythenumwobene Lebenszentrum genommen. Und er hatte zweitens die Verletzte für tot erklärt, obwohl ihr Herz noch schlug. Das kam einer Kulturrevolution gleich. Denn "seit Menschengedenken war es der Herzstillstand, der den Schlußpunkt unter das Leben setzte", so der SPIEGEL 1999. Erst wenige Monate nach Barnards Pionier-OP wurde der Hirntod offiziell als Todesbeweis anerkannt und die Grenze neu definiert, "an der ein menschlicher Körper zur Leiche wird".
Die Leiche war Denise Darvall, eine junge Frau, deren Gehirn bei einem Autounfall schwer verletzt worden war. Der Patient war der Kolonialwarenhändler Louis Washkansky. Zwei Tage nach der Operation jubilierte ein Reporter des "Hamburger Abendblattes", der 55-Jährige dürfe "bereits Suppe und ein weichgekochtes Ei essen". Weltweit verfolgte die Presse, wie sich der Schwerkranke erholte. Und weltweit meldeten Zeitungen am 21. Dezember 1967 den Tod des Medizinwunders. Denn Washkansky starb, obwohl die Abstoßung des neuen Organs zunächst mit Hilfe einer Strahlentherapie verhindert worden war. Er starb nicht an Herzversagen, sondern einer Lungenentzündung - mit der Strahlentherapie war sein Immunsystem absichtlich geschwächt worden.
Ein echtes Problem
Heute gehören Transplantationen zum medizinischen Alltag. Jedes Jahr retten Ärzte weltweit über 3000 Menschen durch Herztransplantation das Leben. Erfolgreich werden Nieren, Lungenflügel, Lebern und Hautpartien verpflanzt.
Auch heute noch haben Mediziner Visionen, die aus Schauerromanen des 18. Jahrhunderts entlehnt scheinen - jedenfalls bei oberflächlicher Betrachtung. Der US-Mediziner Robert J. White träumt davon, menschliche Köpfe zu verpflanzen.
Anfang der siebziger Jahre hatte White dem Körper eines Rhesusaffen den Kopf eines anderen aufgesetzt. Die so geschaffene Kreatur erwachte aus der Narkose und konnte laut White "hören, sehen und riechen". Das Experiment war seiner Ansicht nach ein Erfolg. "Wir haben Musik angemacht und sind durch den Operationssaal getanzt", erzählte White - und wiederholte das Experiment diverse Male mit anderen Rhesusaffen. Manche Tiere lebten nach seiner Aussage bis zu acht Tage nach der Operation.
1999 schließlich veröffentlichte der Mediziner in der deutschen Zeitschrift "Spektrum der Wissenschaft Spezial" erneut einen Artikel über seine Visionen. White schrieb: "Aufgrund der wesentlich verbesserten chirurgischen und postoperativen Technik kann man nun Kopftransplantationen auch beim Menschen ins Auge fassen." Bleibt ein Problem: Der Kopftransplantierte hätte nach Krankheit oder Unfall zwar wieder einen funktionierenden Körper, könnte ihn aber nicht nutzen - weil für die Verpflanzung das Rückenmark durchtrennt werden muss. Und das lässt sich bis heute noch nicht wieder reparieren.
*Quelle:
KLICKEs ist schon der Hammer was alles im Namen der Wissenschaft vielen Tieren angetan wurde und auch immer noch angetan wird.
GLG
Marion, Puck und Yukon