Sitz! Gib Pfötchen! Erobere den Kosmos! Um den Weg für den Menschen zu bereiten, schoss die Sowjetunion in den fünfziger Jahren Dutzende Hunde ins All. Russlands erste Kosmonauten wurden auf den Straßen Moskaus eingefangen - und versetzten, mit Raumanzügen ausgestattet, die USA in Schrecken. Von Christoph Gunkel
Dass es nicht gut ausgehen würde, spürte der Russe Alexander Serjapin schon wenige Sekunden nach dem Start, als die Rakete aus ihrer Bahn gerissen wurde. Zwar korrigierte die automatische Steuerung den Fehler und brachte sie wieder in eine stabile Lage, doch dann sah Serjapin in der Bodenkontrolle die Katastrophe.
Kosmonautin Lissa wurde durch den heftigen Rückstoß wie Spielzeug aus der Rakete geschleudert. Und da flog sie in ihrem kleinen Spezial-Raumanzug durch die Atmosphäre und raste zur Erde zurück. Seine treue Lissa.
"Das geschah alles mit solcher Gewalt, dass sie bei der Landung schon tot war", erinnert sich Serjapin Jahrzehnte später mit leiser Stimme an das Unglück von 1955. "Ich musste sie in der Steppe begraben. So verlor ich meinen Liebling."
Tödliche Experimente
Lissa, das war kein menschlicher Kosmonaut, sondern eine Hündin. Auch Alexander Serjapin war kein gewöhnlicher Oberst des sowjetischen Militärs. Er arbeitete als medizinischer Berater an einer geheimen Mission. Langfristiges Ziel des Teams um Sergej Koroljow, dem Chefkonstrukteur des russischen Raumfahrtprogramms: den ersten Menschen ins All zu bringen.
Dafür schoss die Sowjetunion zwischen 1951 und 1961 in Dutzenden Experimenten insgesamt 48 Hunde in den Weltraum. 20 von ihnen überlebten die Tests nicht. Die Wissenschaftler entwickelten Druckanzüge für Hunde, setzten ihnen gläserne Raumhelme auf, gewöhnten sie an die Enge der Raumkapseln, an heftige Vibrationen, an höllischen Raketenlärm. Sogar Beschleunigungstests mussten die Tiere über sich ergehen lassen, um zu lernen, wie es sich anfühlt, wenn das Fünffache des Körpergewichts auf ihnen lastet.
Darüber ist die spannende Dokumentation "Die Hunde-Kosmonauten von Baikonur" entstanden. In ihren berührendsten Momenten zeigt sie, dass das Verhältnis der Forscher zu ihren Versuchsobjekten anders war, als man sich das klischeehaft vorstellen könnte: Da waren nicht allein überehrgeizige und seelenlose Technokraten am Werk, die ihre Tiere gewissenlos opferten, sondern Menschen, die mit ihren Schützlingen litten.
Die Hundefänger von Moskau
"Kein Forscher, der Experimente mit Hunde durchführt, nimmt sie nur als Tiere wahr", sagt etwa Oleg Gasenko, damals Mitarbeiter der Russischen Akademie der Wissenschaften. "Er sieht die Hunde eher als Kollegen und Freunde an." Und Oberst Alexander Serjapin spricht traurig vom "besonders engen" Verhältnis, das er zur Hündin Lissa gehabt hatte; unglaublich schwer sei es ihm gefallen, sie schließlich in den engen Raumanzug stecken zu müssen.
Begonnen hatte alles 1950 mit einem surrealen Auftritt des Militärs: Bewaffnet mit Würstchen lockten mitten im Kalten Krieg verschwiegene Funktionäre räudige Kläffer aus ihren Löchern und ließen sie diskret in ihren Wagen verschwinden. Die einzige Vorgabe an die Hundefänger von Moskau: Die Tiere sollten möglichst klein sein, um in die Kapseln zu passen.
Straßenhunde galten den Sowjets als ideale Kandidaten für All-Experimente: zäh und erprobt im Überlebenskampf. Außerdem kannte man sich seit Iwan Pawlow ja bestens mit Hunden aus. Affen, die die Amerikaner später bevorzugt zu Testzwecken in den Weltraum beförderten, hielten die Russen hingegen für viel zu sensibel und gesellig - ein extra einberufener Zirkusdirektor hatte Koroljows Team explizit von ihnen abgeraten.
Auf einem geheimen Testgelände in der südrussischen Steppe bei Tjuratam, dem späteren Baikonur, wurden die Tiere auf ihren Ausflug in den Kosmos vorbereitet: Mediziner pflanzten ihnen Sensoren unter die Haut, schließlich wollten die Forscher wissen, wie sich die Extremsituation auf Herz, Puls und Körpertemperatur auswirkte, um daraus Rückschlüsse für den Menschen ziehen zu können.
Wurst für die Helden
Am 22. Juli 1951 um 4 Uhr war es so weit: Nach wochenlangem Training sollten die einst ordinären Straßenhunde Desik und Tsygan Weltgeschichte schreiben und der Sowjetunion den Weg zu einer Zukunft als ruhmreiche Raumfahrernation ebnen. Die Vierbeiner wurden in die winzige Druckkabine in der Spitze der Rakete gesetzt. Kurz vor Sonnenaufgang hob die Rakete ab und brachte erstmals Lebewesen in eine Höhe von 110 Kilometern - ungefähr in den Grenzbereich, in dem nach gängigen Definitionen das Weltall beginnt.
Gebannt verfolgten die Wissenschaftler die Live-Bilder aus der Druckkabine, faszinierende und zugleich mitleiderregende Aufnahmen: Da waren aus der Vogelperspektive zwei wuschelige, weiße Fellköpfe zu erkennen, die irgendwie an lebendige und hyperaktive Wackel-Dackel erinnern, so heftig wurden die Tiere von den Beschleunigungskräften durchgerüttelt. Dezik und Tsygan konnten kaum ihren Kopf halten, ihr Puls raste und stieg um das Vierfache auf 250 Schläge pro Minute.
Erst als sich das Triebwerk abstellte und die Hunde kurz in den Zustand der Schwerelosigkeit versetzte, beruhigten sich die Tiere wieder. Der abgekoppelte Raketenkopf fiel zur Erde zurück, bis sich in 7000 Metern Höhe ein Fallschirm öffnete und die Raumkabine zu Boden segeln ließ. Als Mediziner die Kapsel öffneten, sahen sie zwei eingeschüchterte, aber gesunde Hunde, die sie schnell mit Wurst und Wasser belohnten.
Absturz in Sibirien
Doch nicht immer gingen diese wissenschaftlichen Abenteuer so glimpflich aus. Schon wenige Monate später wurde Desik ein zweites Mal ins All geschossen; diesmal versagte der Fallschirm. Desiks Tod war das Glück ihres einstigen Partners Tsygan; als einziger Überlebender der ersten erfolgreichen Weltraum-Mission wurde er fortan von Tests verschont und in Moskau wie ein König behandelt.
Derweil arbeitete Sergej Koroljow mit Hochdruck an besseren Raketen, Anzügen und Druckkapseln. Möglichst schnell wollte er ein System entwickeln, mit dem auch Menschen sicher aus dem All zurückkehren konnten. Er ahnte, dass die Amerikaner dasselbe Ziel verfolgten und wusste, dass er die Parteispitze nur mit einem spektakulären Propaganda-Erfolg überzeugen könnte: Denn Raketentechnik schien den meisten Strategen damals nur interessant, um atomare Sprengsätze verschießen zu können. Welchen Nutzen sollte es haben, Menschen in die Schwerelosigkeit zu schicken?
Und so katapultierte Koroljow einen Hund nach dem anderen in lebensfeindliche Höhen. Bars, Lisichka, Pycholka, Muschka. Vergessene Helden des Kommunismus, gestorben im Dienste der Forschung. Andere hatten unfassbares Glück: So stürzte 1960 nach einer Kette von technischen Fehlern eine Rakete Hunderte Kilometer vom geplanten Landepunkt entfernt in Sibirien ab. Als einen Tag später ein Suchtrupp die vereiste Kapsel im tiefen Schnee fand, waren die beiden Testhunde dennoch wohlauf.
Der Laika-Schock
Weltberühmt wurde hingegen jener Hund, dessen Tod von Beginn an fest eingeplant war: Laika. Der Name, übersetzt "Kläffer", war durchaus programmatisch gemeint: Hatten die Russen ihr Forschungsprogramm bisher im Geheimen betrieben, so sollte der Straßenköter die Amerikaner im Herbst 1957 zum zweiten Mal binnen Wochen öffentlich das Fürchten lehren: Nach dem Sputnik-Schock träumte Moskau vom Laika-Schock.
Anfang Oktober hatte die Sowjetunion mit "Sputnik 1" den ersten künstlichen Satelliten in die Erdumlaufbahn geschossen. Auch wenn diese 58 Zentimeter kleine Kugel drei Wochen lang nur ein penetrantes "Piep, piep, piep" zur Erde funkte, hatten die Russen bewiesen, dass sie in der Raumfahrt mindestens auf Augenhöhe mit dem Westen waren. Berauscht vom eigenen Erfolg drängte Parteichef Nikita Chruschtschow sofort auf einen weiteren Coup - und zwar bitte pünktlich zum 40. Jahrestag der Russischen Revolution einen Monat später.
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Laika fiel diesem Kalkül zum Opfer. Für die Entwicklung eines Rückkehrsystems hatten die Konstrukteure von "Sputnik 2" schlicht keine Zeit. Und so wurde das erste Lebewesen am 3. November 1957 ziemlich hastig in den Orbit befördert. "Ein historisches Ereignis", erinnerte sich Alexander Serjapin an den Erfolg. "Erst dachte ich, ich sei der Einzige, doch dann sah ich auch andere Männer erstmals weinen."
Hundeliebe im Kalten Krieg
Und die Welt weinte mit, zu herzzerreißend war die Vorstellung, dass die Hündin tagelang aus ihrem eisernen Gefängnis im tiefschwarzen All traurig auf die ferne Heimat blickte. In Wirklichkeit dürfte sie den Start nur wenige Stunden überlebt haben, wie ein beteiligter Biologe vor wenigen Jahren zugab: Demnach habe sich aufgrund technischer Fehler die Kapsel auf 41 Grad erhitzt; Laika habe noch etwas gefressen, einmal gebellt, dann sendeten die Sensoren keine Herztöne mehr an die Bodenstation. Die Hundeleiche umkreiste in der Sputnik noch 2570-mal die Erde, bis sie nach 162 Tagen in der Erdatmosphäre verglühte.
Tierschützer wüteten, während die Russen Laika zur nationalen Märtyrerin überhöhten und ihr später ein Denkmal bauten. Als dann 1960 die Hunde Strelka und Belka mit der inzwischen weiterentwickelten "Sputnik 5" die Erde 18-mal umkreisten und heil zurückgeholt werden konnten, war der Weg frei für den nächsten Helden - diesmal einen menschlichen: Am 12. April 1961 umrundete Juri Gagarin als erster Mensch in einer Raumkapsel die Erde.
Amerika hatte den Wettlauf um den ersten Mann im All verloren und so gönnte sich Chruschtschow auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges eine kleine Geste der Versöhnung: 1961 schenkte er Präsidentengattin Jackie Kennedy Pushinka, einen Welpen der erfolgreichen Kosmonautin-Hündin Strelka. Und Pushinka war ihrer Zeit weit voraus: In Washington lebte sie in Frieden mit ihren amerikanischen Artgenossen, und gebar, ganz im Sinne der Völkerverständigung, zahlreiche Nachkommen.
*Quelle:
KLICKDie Wissenschaft und ihre Tiere, eine niemal endende Leidensgeschichte für die Tier, früher wie heute.
GLG
Marion, Puck und Yukon